Budapest, Part II

Der versprochene zweite und letzte Teil. Budapest, jetzt wieder bei Tag.


Die wenigen Stunden Schlaf seit der Rückkehr aus dem 8. Bezirk waren nicht wirklich erholsam. Ich bin, wie immer vor 11 Uhr am Tag, leicht neben der Spur.
U. ist diesen Zustand von mir über viele Jahre gewohnt, ein gemeinsamer Morgen ist voller Rituale und Kompetenzverteilungen. Ich bin für Staunen über die Welt, mangelnde Koordination, mehrfache Unfähigkeit simple Fragen zu beantworten kombiniert mit fortlaufendem Staunen und ausgefeilte Schlafen-im-Gehen Techniken zuständig, während U. jegliche Koordinationen, Entscheidungen und Planungen logischer Abläufe übernimmt. Ein ausgesprochen bewährtes System. So auch an diesem Morgen.

Wir verlassen das Hotel, schlagen den Weg ins Zentrum in Richtung der U-Bahn-Stationen ein. Diese sind zwar auf Grund grossflächiger Bauarbeiten nicht in Betrieb, aber wir haben am vergangenen Tag einen Passbildautomaten gesehen. Diesen gilt es wiederzufinden um die notwendigen Photos für die Ersatzpapiere zu bekommen. Am Automaten scheitert der erste Versuch am mangelnden Kleingeld. Während ich müde in der Halle neben dem Automaten stehenbleibe, heute drängt sich mir die Vermutung auf, man könnte es auch ‚geparkt‘ nennen, versucht U. sich in unterhaltsamen Wechselgeschäften mit diversen Kioskbesitzern innerhalb der Gewölbe. Niemand möchte ihr die Geldscheine in die benötigten Münzen tauschen und Geduld zählt auch an diesem Morgen nicht zu ihren hervorstechenden Eigenschaften.

Irgendwann hat sie jemanden überzeugen können, ihr Geld zu wechseln für den Automaten. Ich werde hineingeschoben, wir stellen den Sitz auf die richtige Höhe, in der Hand halte ich die eigene Kamera. Ich mag Passbildautomaten. Ich muss das natürlich festhalten.
U. sieht mich an, ihre Stirn legt sich kurz in Falten. Diesen skeptischen bis leicht ärgerlichen Gesichtsausdruck kenne ich. Ich wette, es ist dieser Blick, den sie als Mutter einmal haben wird. ‚Nimm die verdammte Sonnenbrille ab.‘ Stimmt, den Pass bekomme ich vermutlich nicht, wenn ich auf den Bildern hinter dunklen, grossen Brillengläsern verschwinde. Murmelnde schiebe ich mir die Brille ins Haar, blicke in ihr immernoch mehr als skeptisches Gesicht und ziehe die Sonnenbrille mit einem entschuldigenden Lächeln vom Kopf um sie ihr auszuhändigen. ‚Jahaaa, schon gut. Ähem

Der Automat würgt wenige Minuten später die durchaus passtauglichen Bilder hervor und mit dem ersehnten Streifen verlassen wir die U-Bahn-Halle wieder. Trotz meines Genörgels bleibt keine Zeit für einen Kaffee, wir laufen eine zeitlang durch die Stadt in Richtung Donau um uns an den Brücken ein Taxi in Richtung Buda zu organisieren. Der Tag ist sonnig und die Wärme steht in den Strassen der Stadt. Da verzichten wir gern darauf, den kompletten Weg zu Fuss zurückzulegen.
Der Taxifahrer ist freundlich und so schwappen wir im Verkehrsstrom langsam über die Donau. Die Strassen werden zu Gassen, die Glasfassadenhochhäuser weichen farbfrohen kleinen Häusern, die Steigung nimmt zu und wir schlängeln uns den Berg hinauf. Inzwischen ist es Mittag, die Touristenströme Richtung Buda fliessen in Bussen und kleinen Wandergruppen mit uns hinauf. Mir ist heiss und ich bin ausgesprochen froh über das klimatisierte Taxi. U. sieht mich fragend an. ‚Sag mal, was haben wir eigentlich noch an Geld?‚ Ich muss lachen. ‚Weisst du, wenn ICH mein Portemonaie samt Geld noch hätte, sässen wir gerade nicht hier. Die Frage ist somit also eher, was hast DU noch einstecken?‚ Sie beginnt, in ihrem ja Gott sei Dank noch vorhandenen Portemonaie die Geldscheine und das restliche Kleingeld zusammenzuzählen. Der Betrag entspricht leider nicht der Summe, die uns der Taxifahrer auf Nachfrage als zu erwartende Transportgebühr nennt. Während wir uns ansehen, überlegen wie wir nun mit einem leider etwas zu klein geratenem Budget bis zur Botschaft kommen, läuft das Taximeter unaufhaltsam weiter. U. tippt dem Fahrer auf die Schulter ‚Stop here please!‚. Er blickt kurz in den Rückspiegel, sieht uns verständnislos an und steuert sein Fahrzeug unbeirrt weiter. U. setzt etwas mehr Energie in ihre Aussage und wiederholt ihre Bitte, er möge nun SOFORT seinen Wagen anhalten. ‚Please, stop here. It’s the end of our money!‚. Genau. Das Ende vom Geld. Das versteht dann auch unser sonst stoischer, ungarischer Fahrer auf Anhieb.

So treiben auch wir nun, in brüllender Hitze unter stechender Sonne, schwitzend zu Fuss die kleinen Gassen entlang. Irgendwann hängt die deutsche Fahne lustlos an einer Gebäudeecke. Ich bin erleichtert. Sehr sogar. Noch ein paar Kilometer weiter und ich hätte ernsthaft darüber nachgedacht, mich einfach irgendwo auf eine Bordsteinkante zu setzen um in der Sonne still zu verdörren. Diesem traurigen Schicksal entkomme ich nun doch und klingele fröhlich an der Tür der deutschen Botschaft. Klingele noch einmal. Wir sehen uns an.
Nichts. Kein Knacken in der Gegensprechanlage, kein Summen eines Türöffners. Aber immerhin hübsche Sonnenreflektionen auf einem polierten Messingschild. Öffnungszeiten. Oh Tücke. Sorgfältig eingraviert : 9 – 12 Uhr. Der Zeiger meiner Armbanduhr springt gelangweilt und fast ein wenig spöttisch auf dem Ziffernblatt. 12.06 Uhr.

Verzweifelt sehe ich noch einmal auf die Öffnungszeiten und erwarte eine weitere Gravur mit der Information, wann es nach der Mittagspause weitergeht. Eben. Mittagspause. Ja natürlich. Aber Hinsehen fördert keine weitere Zeitangabe zu Tage, nichtmal Starren hilft. Keine Mittagspause. Feierabend. ‚Das ist jetzt NICHT wahr.‚ Während in meinem Kopf die beiden Alternativverhaltensweisen „In die Sonne setzen und doch auf den Eintritt des Vertrockung warten“ und „Einfach mal ein bisschen auf der Bordsteinkante heulen“ in einen argumentativen Wettstreit treten, knackt die Gegensprechanlage.
Noch bevor der Herr auf der anderen Seite seinen Satz zu Ende formuliert hat, beginnen wir beide hektisch und überschäumend auf die Gegensprechanlage einzureden. Das wir dringend einen neuen Pass benötigen und auch alle Unterlagen mitgebracht haben und doch am nächsten Tag schon Morgens der Flieger geht und das es so fürchterlich nett wäre wenn er und es wäre doch so heiss und er würde uns so einen Gefallen tun und ob er nicht und und und. Wir überschlagen uns in Höflichkeiten, Betteln und der Bemühung um möglichst charmante Tonlagen.
Im Nachhinein lässt sich nicht mehr feststellen, ob er sich so erweichen liess oder einfach aus Notwehr zugesagt hat, den zuständigen Botschaftsmitarbeiter auf dem Handy anzurufen und zu Bitten, noch einmal zurückzukommen. Ich tendiere inzwischen zu Notwehr, damit wir einfach nur die Klappe halten und später wiederkommen. Was wir natürlich ausgesprochen gern tun.
Der Botschafsmitarbeiter erweist sich als freundlich und so unterhalten wir uns länger als für die Ausstellung der Reisedokumente notwendig. Er erzählt von seinen früheren Dienststellen, hat bereits weltweit gearbeitet, auch in Ländern wie Afghanistan und China. In Budapest sei er nun noch 6 Wochen, dann hoffe er auf ruhige und schöne Zeiten in der Schweiz. Normalerweise wird ein Ersatzpass nur bis zum Einreisedatum in Deutschland ausgestellt, aber unser Botschaftsmann war sogar noch so nett, ihn 2 Tage länger auszustellen, um ihn als Erinnerung behalten zu können und nicht bei der Einreise den deutschen Beamten, wie es üblich wäre, aushändigen zu müssen.

Als wir die Botschaft verlassen, hat die Hitze sich hinabgesenkt in die Stadt, auf die im Tal glitzernde Donau und wir sitzen noch lange auf einer Bank mit Blick über die Dächer.

U. rollt noch ein wenig mit den Augen und murmelt eine zeitlang halbbelustigte Beschimpfungen, dass ich immer und immer wieder, wenn man mir reist, zu einem solchen Chaos neigen würde. Natürlich erinnere ich mich sehr genau, was sie dort auf dieser Bank in der Sonne sagte, auch die Photos aus dem Warteraum der Polizeiwachen erhielten die bereits nächtlich erwartete Erwähnung, die restlichen Details behalte ich an dieser Stelle aber gern für mich, ich würde nicht sonderlich gut dabei wegkommen.

Der Ersatzpass sorgt am Flughafen auf beiden Seiten der Grenze noch für längere Wartezeiten, man sieht mich wiederholt ausgesprochen skeptisch an, Zollbeamte befragen sich gegenseitig nach Verhaltensweisen, es wird telefoniert, Dokumente werden verglichen und zwischenzeitlich weiss ich manchmal nicht so genau, was ich bedenklicher finde. Die unschlüssigen Zollbeamten oder U., die mir auch an den verschiedenen Schaltern immer wieder ausgiebig strafende Blicke zuwirft. Vermutlich hätte sie mich einfach gern als Gepäck deklariert um mich sicher verpackt über Laufbänder rutschen und im Frachtraum reisen zu sehen.

Budapest ist mir, trotz allem oder vielleicht gerade wegen diesen Stunden, in wirklich guter Erinnerung geblieben.

3 Reaktionen zu “Budapest, Part II”

  1. lightdot

    LOL, Du musst mir verzeihen, liebes Kind, aber ich habe mich köstlich amüsiert jetzt beim Lesen. Es klingt alles als wäre das Ganze gar nicht so schlimm gewesen. Wahrscheinlich hast Du Deinen Geldbeutel irgendwo im 8. Bezirk absichtlich vom Körper gestoßen, damit Ihr zwei noch nach Jahren was zu erzählen habt über Budapest. *muahahaha* :-))))))
    Also, ich fands echt toll. Was nicht bedeuten will, dass ich mich jemals mit Dir ins Ausland wagen würde. Auch das musst Du mir verzeihen. ;-D

  2. Nika

    :) es freut mich, wenn es dich gut unterhalten hat. und ich würde vermutlich auch nicht mit mir reisen wollen. obwohl es ja ein gewisses entertainment einschliesst.
    im nachhinein kann ich selber drüber lachen, aber glaub mir, das war live nicht immer so. auf der wache fand ich es stellenweise wirklich weniger witzig und zu fuss in buda, bei der hitze, dit war auch nich witzich. es hat wirklich nicht viel gefehlt und ich wäre einfach (natürlich quengelnd) zerflossen.

  3. Michael

    Für mich hört sich das auch ganz unterhaltsam an. Was mich aber viel mehr bewegt ist die Frage: Wo sind denn die beiden Geheimfotos ausm Knast????? So geht’s doch wohl nicht. Erst den Mund wässrig machen und dann den Teller wegziehen.

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