[Projekt:Handwerk 2.0]

Es musste ja so kommen. Die Woche war furchtbar. Die nächste wird vermutlich nicht besser. Mit diesem Wissen verlasse ich Freitagabend mein Büro. Ächzend. Maulend. Schlecht gelaunt.
Während der Rückfahrt, quälend langsam im Schritttempo, weil der Ferienanfang sich auf den Autobahnen niederschlägt wie Tau im Herbst auf die Gräser, warte ich auf die Ausfahrt. Die Ausfahrt an der Autobahn, die mich direkt zum Bauhaus bringt.
Die Wege zwischen Pinseln, Farbdosen, Teppichen, Brettern und Klobrillen sind mir inzwischen vertraut. Zielstrebig erreiche ich das Farbregal, greife nach den gewünschten Dosen, zahle meine Ware und verschwinde, so schnell wie ich kam, wieder in meinem Auto. Noch während des letzten Abschnitts auf der Rückfahrt zweifele ich, ob ich mir das wirklich antun will. Das Regal war schon der Horror. Der Schrank, der jetzt auf mich wartet, ist noch eine ganze Ecke grösser, wuchtiger und bietet mehr Flächen mit Tücken. Abgeschrägte Verbindungsbretter, Rundungen an unmöglichen Stellen, schmale Leisten die sich kaum rollen lassen werden.

Beim Regalanstrich, dem ersten Anstrich meines Lebens überhaupt, habe ich die Erfahrung gemacht, dass ein gleichmässiger Anstrich in der Tat nur möglich ist, wenn die Flächen in logischer Reihenfolge gestrichen werden. Rollt oder pinselt man ein Brett während des Anstrichs der nebenliegenden Fläche an, funktioniert nur direktes Weiterstrichen der angerollten Stelle. Ein späteres Überstreichen wird nie wieder ohne Streifen oder Unterschiede in den Farbhöhen möglich sein.

Mit diesem Wissen sitze ich, wie bereits ein paar Tage zuvor, auf dem Fussboden vor meinem Schrank. Sehe mir die schrägen Verbindungsbretter zwischen Seitenwänden und Fronten an. Die Türen mit den Schnitzereien und Einsätzen. Versehen mit Vertiefungen und Wölbungen. Es wird nicht möglich sein, den Schrank in Etappen zu streichen.
Es gibt kaum gerade Abschlüsse, an denen ein Absetzen möglich sein wird, ohne das anschliessende Brett irgendwie mit Farbe anzusauen. Egal wie ich es anstellen werde, das Monster vor mir ist und bleibt eine Herausforderung.

Ich bin nicht kleinlich und nicht pedantisch. Ich kann gut grosszügig über Schönheitsfehler im Leben, bei Menschen und Dingen, hinwegsehen. Aber wenn es um Farben, um Einrichtungen und im weitesten Sinne um Kreativität geht, dann werde ich zur grössten Pedantin auf diesem Erdball. Bei Graphiken stört mich manchmal ein einziger Pixel, bei Bildern ein einziger Fussel an der falschen Stelle und ja, bei Anstrichen scheint es genauso zu sein. Da geht kein ‚bisschen‚, da geht kein ‚irgendwie‚, da geht kein ‚ach, egal.‘

Bei Anderen bin ich grosszügig. Aber bei Dingen, die ich selber tue, stehe ich mir mit meinen Ansprüchen gern selber im Weg. Es ist also klar, wenn ich jetzt anfange, werde ich nicht aufhören können, bevor die erste Schicht Farbe komplett auf dem Schrank ist.
Um das Elend, was in den nächsten Stunden auf diesen Entschluss folgte, sinnvoll abzukürzen : Der komplette Schrank ist inzwischen gestrichen. In mehreren Schichten. Freitag, Samstag, Sonntag. Die Nacht von Freitag auf Samstag war generell schon kurz, denn Komplettanstriche bei solch einem Monster brauchen einfach ihre Zeit. Noch kürzer wurde die Nacht, weil ich auf Grund schmerzender Hände, Arme und Schultern nicht schlafen konnte. Das übliche schlaflose Herumwälzen in der Nacht fiel aus. Dazu fehlte mir ganz einfach die Kraft und der ebenfalls schmerzhaft protestierende Rücken hatte da so seine Einwände.
Da mir mein Zeitproblem und das reduzierte Licht dieser Jahreszeit bewusst ist, war ein Verschieben auf den Lauf der nächsten Woche mehr oder weniger direkt hinfällig. Mir blieb nur das Motto Immer weiter. Immer weiter. Immer weiter.

Jetzt sitze ich hier, farbverschmiert und als generelle, schmerzende Zellansammlung. Ich weiss nicht, wie ich mich morgen früh anziehen soll. Wie ich das Lenkrad halten soll. Greifen finden meine überstrapazierten Hände zur Zeit ausserhalb ihres Zuständigkeitsbereiches, eine aufrechte Haltung findet mein Rücken vollkommen überschätzt. Aber stolz bin ich schon. Stolz auf dieses weisse Monster in meinem Wohnzimmer, ohne Streifen, ungleichmässige Farbflächen oder gar böse Lacknasen. Da finde ich es auch schon nur noch halb so dämlich, dass ich schon wieder vergessen habe, beim Anstrich Schuhe oder wenigstens alte Socken zu tragen.

20 Reaktionen zu “[Projekt:Handwerk 2.0]”

  1. berni

    du bist ne echte heldin :-)

    ich hätte gerne ein siegerfoto mit schrank .

  2. Tanja

    Ich bin sehr stolz auf dich. Ein Bild hätte ich natürlich auch dringend gern. Und wenn ich dafür zu dir kommen muss und eigenhändig die Digi anlegen. Guten Morgen. Ich hoffe, dein Muskelkater hält sich für heute in Grenzen und du überstehst den Tag angenehm. Die Woche ist kurz und in den folgenden 3 freien Tagen kann eine Menge gestrichen werden … ;o))))

  3. aebby

    Maleraktionen am Wochenende inmitten der Wohnung nötigen mir den größten Respekt ab – Chapeau

    P.S. Oberflächenbahndlungen jeder Art lösen bei mir eine Krise aus ;-)

  4. Tanja

    Guten Morgen, Aebby. Ich wünsche dir auch einen guten Start. Gleiche Uhrzeit … wow.

  5. aebby

    @Tanja … guten Weg ins Büro und reichlich Kaffee wünsche ich Dir … ich sitze hier gerade ohne Milch *grummel

  6. Tanja

    Oh je. Ein Albtraum … das geht ja überhaupt nicht. Du Armer.

  7. Nika

    guten morgen… ich habe es in der tat geschafft mich anzuziehen. bin selbst erstaunt. tanja, die idee mit der digi vorbeizukommen gefällt mir, mach mal :)

    ersma kaffee…
    (ebbs, ich hoffe, du hast inzwischen milch bekommen. montag morgen ohne milch ist wirklich ein tragisches schicksal.)

  8. frauvivaldi

    Hochachtung auch meinerseits! Ich kann das ein kleines Bisschen nachvollziehen – das mit der Pedanterie beim Streichen.. wenn ich auch eine ziemlich chaotische Person bin und es mich auch im Geringsten nicht stört, wenn bei Anderen mal was „daneben“ gegangen ist – wenn ICH streiche, muss es perfekt sein. Ist zwar sicher erst mal anstrengender, aber dafür hinterher umso erfreulicher..
    Also: viel Freude und berechtigten Stolz auf das Werk! Und ein Foto – das wäre wirklich schön..

  9. Tilla Pe

    Määäädsche – das näxte Mal schüttest Du Dich mal mit Arnikakügelchen voll, bevor de sonne Aktion startest! Die Wahrscheinlichkeit, dass Du am näxsten Tag die Arme in die Ärmel Deines Kleidungsstücks bekommst ist ungleich höher! ;)
    Und sonst so: Hochachtung!

  10. nadja

    weils noch keiner hier getan hat, tue ich dir großen weißen orden an die (große weisse) brust pappen. ich bewundere diese hartnäckigkeit. und die liebe zum detail. ich finde das total gut. ich hätte das nicht geschafft. du aber schon. du machst das. du zeihst es einfach durch. und darum wirst du dich auch lange am ergebnis freuen. sehr doll freuen tut sich für dich

    die nadja

  11. doro

    respekt, gnädigste !
    dieses „um jeden preis weitermachen müssen“ stell ich mir schon enorm vor ….
    aber der muskelkater wird gehen, die feinmotorik wiederkommen und der schrank samt dem stolz bleiben.
    das ist schon ne menge, finde ich.

  12. lightdot

    Wir Frauen, wir ertragen alles. Was streichst Du das Schlafzimmer? :-))

  13. doro

    haaaaallloooooooo !!
    grad machte ich mir kurz mal sorgen um dich, weil dein blog sich nicht öffnen liess und so eine gräßliche errormeldung angezeigt wurde.
    nu geht’s wieder, aber du bist seit einer woche so seltsam stumm :-/

  14. Tanja

    Genau. Haaallloooooooooooo ;o)

  15. doro

    los, im chor :
    1.2.1.2…….

  16. Nika

    Ihr seid süss, wirklich.
    Ich bin ja da. Im Hintergrund wenigstens. Nur grad nicht so sonderlich kommunikativ. Ich finde euren Hallo-Chor aber schon recht niedlich, lasst euch also von mir dabei nicht stören.

  17. Musen

    Dein Tagewerk hast Du ja wohl erbracht,
    den Oktober, jedoch, noch nicht gedacht.

  18. nadja

    mit doro mitsingt „hallo“ :-)

  19. frauvivaldi

    Ich sing auch mit…: Halllooooo – looooo – looooo

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    […] Ich habe Bilder vom angepinselten Schrank. […]

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