Vertraute:Fremde

Leise vibriert die Weckfunktion des mobile phones neben meinem Kopf. Fast ein wenig ungewohnt. Das ist der erste Gedanke heute morgen. Wie seltsam das ist. So lange war dieses Geräusch normal, jetzt ist es irgendwie falsch.
Mit geschlossenen Augen taste ich nach der kühlen Oberfläche, greife das Telefon und schiebe es unter mein Kopfkissen. Aber der sanfte Brummton hält mich wach. Auch das ist anders. Ich bin ausgeschlafen, mein Hirn ist einverstanden mit dem Tagesbeginn. Kein bleischweres Wegdämmern über dieses Geräusch.

So ein paar Gewohnheiten funktionieren doch noch. Aufstehen. Badezimmer. Dusche. Küche. Kaffeemaschine. Den Thermobecher bereitstellen. Badezimmer. Zahnbürste. Kleiderschrank. Küche. Badezimmer. Föhn. Küche. Kaffee. Kaffee umfüllen. Unterlagen sortieren und bereitlegen. Badezimmer. Wimperntusche.
Irgendwann verlasse ich das Haus, schalte das Autoradio ein.
Ich freue mich über meine Tankanzeige. Seit Tagen war ich nicht an der Tankstelle. Trotzdem ist der Tank fast voll. Die fehlenden, früher täglichen round about 120 km machen sich bemerkbar.

Meine Personalberatung hat ihr Büro in Essen. So fahre ich den alten Weg. Den alten Weg. Wie sich das anhört. Aber alles hier ist mir fremd. Die vertraute Fremde. Ich weiss noch ungefähr, wie es sich angefühlt hat. Wie ich mich morgens gefühlt habe. Auf dieser Strecke. Aber es ist erstaunlich weit weg. Wie in einem anderen Leben. Einem Leben, das so unglaublich wenig mit mir zu tun hat. Ein altes Kleidungsstück, das einem nie gepasst hat. Das nie richtig sass.

Mein Termin mit Herrn E. ist nett. Wie immer. Es herrscht Sympathie und die Gespräche sind angenehm unverkrampft. Wir definieren langsam und stetig den Weg ins neue Leben. Definieren mich, meine Eigenschaften, meine Fähigkeiten, meine Stärken und Schwächen. Das ist manchmal anstrengend. Es wird immer dann zäh, wenn es um die Bereiche meines alten Jobs geht. Ich kann und will mich nicht darüber definieren. Ich will nichtmal darüber reden. Aber das ist notwendig um das Fundament zu schaffen. Um ihm zu ermöglichen, die Basis meiner Erfahrungen kennenzulernen. Mich kennenzulernen.
Manchmal amüsiert sich Herr E. über mein Verhalten. Wie ich mich sträube. Wie ich mich winde. Immer wieder holt er mich zurück in das Gespräch, dass ich aktiv verweigere. Immer wieder erklärt er mir geduldig, wie wichtig diese Basis ist. Mein Verstand folgt den Argumenten, versteht und akzeptiert sie. Aber mein Herz will voran, weg von all dem alten Zeug. Weg von diesem Unternehmen. Heute mehr als sonst. Denn heute steht mir noch einmal, zum ersten Mal seit meinem Ausstieg, der temporär begrenzte Weg zurück bevor.

Ich habe noch meine Zugangskarte und den Parkausweis für das Firmengelände. Diese beiden Dinge werde ich heute zurückbringen. Seit Tagen schiebe ich diesen Termin bereits vor mir her.
Ich stelle meinen Wagen auf den Besucher-Parkplatz. Diesmal ganz legal. Früher habe ich ihn, auf Grund meiner meist späten Ankunftszeit und dem daraus reslutierenden Parkplatzmangel, regelmässig dort abgestellt. Den günstigen Moment abgepasst, wenn ein Lieferant die Schrankenöffnung erbat. Regelmässig gab es so Ärger mit dem Empfangsteam. Denn Mitarbeiterfahrzeuge gehören nun mal nicht auf den Besucherparkplatz. Natürlich nicht. Heute gehöre ich dazu. Zu den Besuchern. Es fühlt sich gut an. Durch den Parkplatz kann ich mir sicher sein: Ich darf wieder gehen. Wann ich will. Jederzeit. Auf dem Weg zur Eingangstür drehe ich mich kurz noch einmal um. Als wollte ich mich versichern, dass auf dem Schild an der Schranke auch wirklich Besucher steht. Ja. Das Schild ist noch da. Besucher.

Ich gehe den Gang entlang. Meine Schritte hallen leise auf dem Linoleum. Die Türen der meisten Büros sind geschlossen. Es ist still. Das Gewicht dieses ganzen, grossen Gebäudes lastet auf meinen Schultern. Ich kann es spüren. Die Luft ist stickig. Vielleicht glaube ich das auch nur. Ich weiss nicht, ob die Luft wirklich so stickig ist oder ob es nur diese Enge ist, die ich fühle.
Ich hole noch einmal Luft und betrete mein altes Büro. Mein Platz sieht aus, als wäre ich nur kurz einen Kaffee holen gewesen. G. freut sich, mich zu sehen, begrüsst mich, fragt mich, wie es mir geht. Ziemlich gut geht es mir. Wir unterhalten uns kurz, die ein oder andere Kollegin kommt dazu. Die Begrüssungen sind herzlich, das freut mich. Aber alles hier ist mir fremd. Als lägen bereits Jahre zwischen diesem Moment und dem Tag, als ich das Unternehmen verlassen habe. Ich versuche mir vorzustellen, wie es wäre, hier noch einmal zu arbeiten. Ich kann es nicht. Es geht nicht. Wirklich nicht. Ich kann nicht mehr nachvollziehen, wie ich es an diesem Platz ausgehalten habe. Alles hier sieht aus wie immer, nur das ich mich als Fremdkörper fühle. Deplatziert, unpassend, fremd.
Ich plaudere noch eine zeitlang, die Anderen wollen wissen, wie sie ist, die Welt da draussen. Schön ist sie. Wirklich. Ich freue mich auf den Moment, wo ich wieder gehen kann. Selbstbestimmt. Einfach gehen. Weil ich es will. Wieder bin ich froh, diese Entscheidung so getroffen zu haben. Wieder weiss ich, wie richtig sie war. Wie gut.
Ich nehme meine Tasche vom Tisch, den Autoschlüssel. Und gehe. Es fühlt sich nichtmal nach einem Abschied an. Abschied genommen habe ich vor langer Zeit bereits. Noch bevor ich meinen Entschluss zu gehen überhaupt ausgesprochen hatte.

Jetzt liegt meine Reisetasche gepackt im Flur auf dem Fussboden. Ein paar Kleinigkeiten fehlen noch, dann werden wir morgen für ein paar Tage wieder unterwegs sein. On the road again. Ich werde morgen früh nach Minden fahren. Freunde besuchen. Weil jetzt Zeit ist für solche Dinge. Zeit für die Menschen, die ich liebe. Zeit für die Kinder. Zeit für mich. Ich freue mich auf die kleinen Arme um meinen Hals, auf das Lachen im Haus.

6 Reaktionen zu “Vertraute:Fremde”

  1. aebby

    es bleibt jetzt nur Dir ein paar schöne Tage zu wünschen

    und

    es hört sich irgendwie alles sehr richtig an

  2. nadja

    wie schön, wieder deine stimme im ohr zu haben… deine zeile zu lesen ist wie belohneng, dass man nach dem umherirren im internet zu dir gefunden hat.

    ich wünsche dir eine gute reise. *wink*

  3. Nika

    Danke, Ebbs. Ich glaube auch wirklich immernoch, die Entscheidung war richtig. Darüber bin ich in der Tat sehr froh. Und die schönen Tage, die werde ich sicher haben… :)

    Nadja, danke für deine Worte. Wirklich. Das war jetzt genau das richtige und hat mich ehrlich gefreut. Hach.

    Bis die Tage, seid lieb zueinander…

  4. Phil

    Geniess die Tage bei Freunden; der Mief eines sich wie auch immer gestaltenden Berufalltags wird Dich eher einholen, als Du denkst … ;-)

  5. Tanja

    Ich habe den Artikel öfter gelesen. Bisher noch nichts geschrieben.
    Du ahnst ja gar nicht, WIE genau ich das Gefühl kenne, das du beschreibst. Als wärst du in meinen Kopf gekrabbelt und hättest nach kleinen Steinchen gebuddelt.

    Und ja, es hört sich richtig an. Und zwar VOLLKOMMEN RICHTIG.
    Ich hoffe, du hattest eine schöne Zeit.

  6. Nika

    Ich glaube ja sowieso, dass wir uns in vielen Dingen sehr ähnlich sind. Vielleicht eben auch in der Summe unserer Erfahrungen.
    Und ja, es hat Spass gemacht und es waren ein paar sehr schöne Tage.

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