Ich weiss nicht, wann das angefangen hat.
Ich weiss nicht, was anders ist. Aber es ist. Anders.
Irgendwann vor ein paar Monaten hat jemand an den Reglern gedreht. Plötzlich war alles anders. Als hätte mein Leben gesagt „So, es wird Zeit“ und ich habe es nicht gehört. Zeit, Stellung zu beziehen.
Es ist nicht so, als wäre ich der Mensch, der seine Meinung hinter dem Berg gehalten hat. Als wäre ich ein Mensch ohne Meinung. Oder einer Mainstreamhaltung. Das war ich nie. Niemals. So lange ich denken kann, hatte ich eine Meinung und habe nicht gezögert, diese zu äussern und zu vertreten.
Scheinbar war meinem Leben das nicht genug. Scheinbar hat das nicht gereicht.
Es hat angefangen und es hört nicht auf. Ich laufe durch ein Labyrinth aus grossen, dichten Hecken. Keine Chance zu sehen, was hinter der nächsten Biegung kommt. Ohne Hinweise, welche Richtung an der nächsten Kreuzung die richtige Entscheidung sein wird.
Immer wieder sind es Situationen, mit denen ich nicht rechnen kann. Ich kann mich nicht darauf vorbereiten. Immer wieder werde ich vor Entscheidungen gestellt und eines haben alle Situationen, so unterschiedlich sie auch sind, gemeinsam. Ich muss Stellung beziehen. Noch nie im Leben musste ich in einer so schnellen Abfolge so klare Worte finden. Alles, was es im Leben normalerweise an Spielräumen und Bewegungsmöglichkeiten in den Formulierungen, in der Haltung und in den Entscheidungen gibt, scheint dauerhaft verschwunden.
Es bleibt nur Schwarz oder Weiss. Es gibt Menschen, die mögen Grautöne. Die sanften Kompromisse und Zwischenlösungen. Zu ihnen habe ich nie gehört. Aber so tiefdunkel war das Schwarz noch nie, so leuchtend rein war noch kein Weiss.
Es bleibt mir nichtmal die Zeit, mich zu fragen, ob mich das alles eigentlich überfordert. Mir bleibt nur der Moment, um Luft zu holen, mich aufrecht hinzustellen, die Füsse fest in den Boden gestemmt und die Dinge auszusprechen. Die Fragen zu stellen, die Antworten zu kennen und den Menschen in die Augen zu blicken. Ja zu sagen. Und Nein. Als müsste ich die Menschen um mich herum sortieren, die Situationen sortieren.
Die Worte sortieren. Jedes für sich ordentlich in Reih‘ und Glied hinzulegen, deutlich sichtbar. Unverrückbar. Endgültig.
Eigentlich ein bisschen viel für einen kleinen Menschen. Eigentlich ein bisschen viel für das Bambi in mir. Aber dieses Einatmen und Ausatmen, das funktioniert. Es gibt Momente, in denen trete ich ein Stück zur Seite und sehe mir zu. Frage mich, was wir hier eigentlich machen, mein Gehirn, mein Herz und meine Ichs. Dann warte ich darauf, dass sich Hektik einstellt. Oder wenigstens Nervosität. Unruhe. Unsicherheit. Aber nichtmal dafür scheint Zeit.
Es ist nicht die Zeit für Unsicherheiten. Es ist die Zeit für Antworten.
Als hätte ich es angenommen. Irgendwas in mir ist trotzig geworden. Als hätte irgendetwas in mir gesagt „Gut, dann komm‘ mit all‘ deinen Fragen, stell‘ sie mir, ich habe die Antworten.“ Als gäbe es nicht den geringsten Zweifel in mir drin, dass ich die Antwort kennen werde. Als hätte ich sie alle. Und wenn es die Fragen sein sollen, dann kenne ich auch die. Ich weiss, wie es geht.
Jetzt wüsste ich noch gern, ob all‘ das, was ich frage, was ich sage, richtig ist. Ob all‘ die Worte, die mich verlassen, die ich auf Tische lege und die ich in Räume stelle, die richtigen sind. Aber mir bleibt nicht die Zeit, darüber nachzudenken. Nur einatmen und ausatmen.