Rauschende Nächte im All, mein Hirn ein Planet.
Irgendwann, so mittendrin und unerwartet, da ist das Dunkel zu Ende. Kein sich sanft hebender Schleier, keine erwachende Rückmeldung der Glieder, kein langsames Abschütteln des wohligen Schlafes. Mein Hirn ist ein amerikanisches, vollbesetztes Footballstadion vor dem Endspiel. Gerade noch im Dunkel, still. Jetzt ist es in meinem Hirn, als hätte jemand in diesem Stadion mit einem einzigen Schalter das Flutlicht eingeschaltet. Die Menschenmasse plappert durcheinander, da wird sich zugeprostet und energiegeladen gejohlt. All die Stimmen und Gedanken in meinem Kopf mischen sich zu einem wirren Rauschen.
Ein Blick auf die LED-Anzeige des Weckers bringt Gewissheit. 3 Uhr 50. Mittenzwischendrin. Die rauschende Gedankenflut in meinem Hirn zwingt mich aus dem Bett. Draussen still, innendrin so unglaublich laut.
Das durch den Vorhang gedämpfte Licht der Strassenlaterne reicht aus, den Weg durch den Flur ins Badezimmer zurückzulegen. Aus dem Bad noch immer im Dunkel in die Küche. Ich bleibe einen Moment am Fenster stehen. Noch immer gegensätzliche Welten Innen und Aussen.
Kein Geräusch kommt herein, keines dringt hinaus.
Obwohl es in meinem Kopf unglaublich laut bleibt, verharrt die Welt draussen in Stille. Die Welt schläft. Nur mein Kopf nicht.
Aus der Küche durch den Flur, im Dunkel das mich nicht einhüllen mag, die Brandung nicht zur Ruhe kommen lassen will. Ich öffne die Balkontür, die kalte Nachtluft streicht mir über die nackten Armen und Beine, über meinen Hals, lässt mich kurz frieren. Nur für einen Moment. Keine Abkühlung im Kopf. So stehe ich einen Moment da, sehe hinaus ins Dunkel, wo sich so gar nichts rühren will.
Ich kann es nicht stoppen, kann es nicht zum Aufhören bringen. Es rauscht, es zwitschert, es verknüpft Bilder von Gestern mit Morgen, Menschen mit Orten, Orte mit Zeiten, Tage mit Nächten. Das alles ohne ersichtliche Chronologie, rauschend, durcheinander, unaufhaltsam, schnell. Die Glut meiner Zigarette leuchtet ins Dunkel hinaus, der Rauch gleitet über die Balkonbrüstung, verflüchtigt sich im Dunkel. Aber auch das frische Nikotin in meiner Blutbahn vermag das rotierende Gehirn nicht zu beruhigen.
Ich drücke die Zigarette aus, schliesse die Balkontür und gehe den Flur entlang, zurück zu meinem Bett. Im Dunkel suche ich den noch warmen Abdruck meines Körpers zwischen den Kissen und Decken, lege mich hinein und hoffe, so alles wieder an die richtige Stelle zurück zu bringen. Wenn ich so tue, als wäre das Rauschen im Kopf gar nicht da, als wäre noch alles genauso wie vor dem Moment des Aufwachens, vielleicht geht es dann.
Aber es geht nicht. Es will nicht aufhören.
Quecksilbergehirn. Es verästelt sich und mit feinen Tentakeln befühle ich die Welt, hinaus aus dem Fenster, um die Laterne, hinauf ins All. Die Nervenbahnen fliessen dahin, auf der Suche nach Halt. Nach Etwas dort draussen, das es aufhalten kann. Etwas, woran sich all diese Verästelungen festhalten können. Aber da ist Nichts. Nichts, das es stoppen will. Nichts, an das es sich halten kann. Strudelig ist es, rauschenrauschenrauschen.
Mein Hirn, dort draussen, ein Planet auf einer schnellen Umlaufbahn, umgeben von Nebeln und Ringen, dreht sich und trudelt durch die weiten des Alls. Auf der Oberfläche zucken Stürme und Gewitter. Die Satelittenbilder würden es glitzernd und funkelnd zeigen, leuchtend von feinen Gewitterblitznetzen überzogen. Einzelne Neuronen im rasanten Flug.
Über diese Bilder schlafe ich dann mit einem verebbenden Rauschen im Kopf im Morgengrauen wieder ein. Morgen.Grauen.
Am 19. August 2008 um 08:19 Uhr
Ich glaube, wenn Du 20-30 Jahre früher geboren worden wärest, hättest Du die größte LSD-Poetin werden können. Größer als Patti Smith vielleicht. :-)
Am 19. August 2008 um 09:17 Uhr
ich kenne das so gut. wenn gedanken einen aufwecken. schön ist aber, dass diese gedanken einen auch wieder zurück in den schlaf bringen können. nur so schön beschreiben kann ich das nicht. und das mit dem weltall, das ist schon sehr *hach*.
Am 19. August 2008 um 09:48 Uhr
Guten Morgen die Damen :)
Judith, ich möchte mir bitte überhaupt im Ansatz nicht vorstellen, was MEIN eh schon ausgesprochen seltsames Hirn unter LSD-Einfluss anstellen würde. Generell unter Einfluss halluzinogener Substanzen. Mon dieu, nicht auszudenken. Aber der Title LSD-Poetin gefällt mir ausgesprochen gut, danke dafür.
Nadja, ich könnte auch in der Tat gut auf dieses surrende Bienenstockgehirn verzichten, echt jetzt. Vielleicht sollte ich doch noch über Lobotomie nachdenken *harr*
Gezz ersma Kaffee, viel Kaffee.
Am 19. August 2008 um 09:55 Uhr
Und was ist genau los? *schmunzelt*
Aber sehr, sehr fein geschrieben. Schon mal über eine Sammlung des Blogs in Buchform nachgedacht?
Am 19. August 2008 um 10:00 Uhr
Nix ist passiert :)
Mein Hirn hat solche Ausfälle schon mal. Ich bin ein bisschen gestresst, ich hab einfach viel um die Ohren. Da scheint die graue Masse sich gedacht zu haben ‚Hömma, wo wir zwei hier grad so schön beisammen liegen, was ich dir schon immer mal sagen wollte‘ und hat eben mitten in der Nacht angefangen, wüst loszuquatschen.
Und nein, ich denke nicht Bücher nach, ich lese sie nur :)
Am 19. August 2008 um 10:12 Uhr
Klug(scheißend)e Ratgeber empfehlen ja gerne, vor dem Zubettgehen sich nochmals bewußt gedanklich mit den Dingen auseinanderzusetzen, die einem so tagsüber widerfahren sind, dann muss das Hirn sich nicht deine Ruhephase dafür aussuchen. Ich weiß aber nicht, ob Du sowas kannst. Mir fällt es immer schwer, mich bewußt mit mir selbst zu beschäftigen; ich mache das lieber en passent…das Blöde ist halt: Viele Dinge wollen in irgendeiner Form verarbeitet werden,weil sie einen beeindruckt oder belastet haben, sonst kommt man nicht davon los.
Was bei lauten Gedanken zum Besseren einschlafen beitragen kann, ist leise, unaufregende Musik im Hintergrund, am besten instru-mentales. Dann glaubt das Hirn, diese Stille nicht mehr überplappern zu müssen.
Nicht, bitte nicht „Slipknot“ und Konsorten dafür nehmen…
Am 19. August 2008 um 10:26 Uhr
Ach was, bewußt gedanklich auseinandersetzen … Fusselskram. Entweder du hast es tagsüber auf die Reihe bekommen oder nicht. Habe auch mal davon gehört und ausprobiert und fand es einfach nur nervig. Und instrumentale Musik ist doch was für Weicheier. Ach neeee, lordfoltermord …
Nikelchen, nix passiert? GUUUUT. Dann wische ich mir den Schweiß wieder von der Stirne. Ich dachte schon …. naja. ;O)
Am 19. August 2008 um 10:33 Uhr
Vielleicht doch noch ein erklärendes Wort dazu : Es gibt tatsächlich bei mir und solchen Geschichten keinerlei Grund zur Besorgnis.
Mein Gehirn ist eines der vielen grauen Klumpen, die ein bisschen anders funktionieren. Aber auch damit beschäftige ich mich erst seit einer kurzen Zeit. Wie aus dem Blog hervorgeht, habe ich das Migräne-Gen in mir und leider ist das auch aktiv. Wenn man sich ein bisschen mit dem heutigen, medizinischen Wissensstand zum Thema Migräne beschäftigt, stellt man fest, das diese Gehirne zeitweise anders funktionieren.
Diese Hyperaktivität gehört dazu, einigen Synapsen und Nervenbahnen sind anders miteinander verschaltet und die Aktivitäts- und Bedürfnisgrenzen sind andere als bei Menschen ohne Migräne-Gen.
Vielleicht gibt’s dazu mal noch irgendwann einen Blogeintrag hier, mal sehen.
Am 19. August 2008 um 10:34 Uhr
Der gedankliche Ausflug in der Nacht kostet Schlaf, darauf erst mal einen Kaffee ;)
Ansonsten danke fürs Mitteilen der gedanklichen Bilder. Das Innen-Außen, das Gefühl zweier Welten und Realitäten kenne ich. Obwohl ich das Gefühl kenne könnte ich es nicht in solche sprachlichen Bilder fassen. Ich muss das noch ein Weilchen sacken lassen.
Am 19. August 2008 um 10:36 Uhr
Ach so, grad noch vergessen : Herr Foltermord, zu diesen ‚anderen‘ Umständen gehört auch, dass die normalen Verhaltensweisen, ein Hirn und die Gedankenkreise zu verlangsamen, nicht greifen.
Genauso, wie diverse Schmerzmittel gegen Kopfschmerzen bei Migräne nicht greifen.
Die Beschäftigung mit Dingen, die so im Alltag laufen, die uns begleiten, die funktioniert gut und das kann ich. Selbst- und Tagesreflektionen, bewusste Wahrnehmung und Betrachtung der Dinge, das mache ich instinktiv und auch schon so lange ich mich erinnern kann. Aber diese Gewitterstürme im Kopf, die lassen sich nicht kontrollieren und die rühren auch nicht nur von den Dingen, die einen tatsächlich beschäftigen. Die Bilder und Assoziationsamokläufe sind da oft willkürlich einfach aus dem Arbeitsdrang der grauen Masse heraus.
Am 19. August 2008 um 10:38 Uhr
Aebby, einfach mehr Kaffee draufschütten, das hilft einen hübschen Teich zum Absacken zu bilden *fnihi*
Ich bin ja schon froh, dass euch meine Bildbeschreibungen aus den Weiten meines wirren Kopfes nicht verschrecken, langweilen oder nerven.
Aber jetzt bin ich ja LSD-Poetin, unter dem Titel habe ich beschlossen, darf ich das. :)
Am 19. August 2008 um 10:47 Uhr
Manchmal ist der Teich notwendig … heute bei mir glücklicherweise nicht, mehr Genuss- als Funktionskaffee.
Der Begriff „Assoziationsamoklauf“ hat bei mir nochmal was zum Klingen gebracht. So würde ich es bei mir auch beschreiben, ein Sturm von Bildern und Assoziationen, die mich total aufwühlen, obwohl ich spüre, dass sie nicht aus mir kommen, nicht in meinem Erlebnissen und Erfahrungen verankert sind. Wenn mich so ein „Anfall“ überkommt brauche ich ein bis zwei Stunden bis die Bilderwelle abebbt und ich wieder Ruhe finde. Die Bilder kommen von außen, es beginnt mit einem Traum, der dann plötzlich ausufert.
Wahrscheinlich lachen jetzt alle – ich nenne es bei mir gelegentlich „emotionsinduzierte Telepathie“ ich konnte den Strum in der Nacht schon oft mit realen Ereignissen die zeitgleich passiert sind in Deckung bringen, ich baue die Träume und Emotionen anderer Menschen in meine Träume ein, das löst dann den Dammbruch aus.
Am 19. August 2008 um 11:12 Uhr
Ach Aebby, ich glaube, es gibt noch ne ganze Menge Dinge, die wir auch mit aller Wissenschaft nicht erklären können. Kein Grund zum Lachen also.
Gab es da nicht so’ne Behauptung von Einstein, wir würden eh nur 20% unserer Hirnkapazitäten nutzen? Vielleicht nutzt der ein oder andere dann eben 21%, who knows?
Am 19. August 2008 um 11:25 Uhr
Ach, bei den Dingen, die mich bislang glücklicherweise nicht behelligt haben, steht „Migräne“ ganz weit oben. Ich habe aufgrund diverser Darstellungen aus geplagten Bekanntenkreisen wohl eine ungefähre Vorstellung davon, aber ich werde mich hüten, das wirklich nachvollziehen zu können. Es scheint aber tatsächlich so zu sein, dass hier doch eifrig über neue Methodiken geforscht wird, das alles besser verarbeiten zu können und die Gehürnstürme zum verebben zu bringen…
Einstein meinte eher, dass bei einem Denkprozess im Durchschnitt nur 20% unserer Hirnkapazität benutzt wird, jedoch nicht immer die gleichen 20%, sonst hätte ich meine freien Ressourcen schon längst untervermietet. Seitdem ich vor langer Zeit mitbekommen hatte, dass die Cruis’sche Glaubensgemeinschaft mit dieser „Erkenntnis“ Mitglieder zu fangen versucht, zuckt bei mir immer das rechte Auge, wenn ich dieses Zitat höre oder lese…
Am 19. August 2008 um 11:34 Uhr
Echt? ‚Die‘ sprechen darüber? Dann streiche ich das aus meinem Zitatrepertoire, aber zügig.
Ausserdem bin ich erstaunt, wie oft du mich ernst nimmst :) So ganz fundiert war die Aussage eh nicht gemeint und das ich nicht nur mit dem 20%Klecks meines zerknüllten Watteknautschdingens denke und der Rest nicht nur ein blinder Fleck auf der Landkarte des Denkens ist, das war mir durchaus klar.
Es sollte eigentlich nur die wertfreie Einschätzung von Aebbys Kommentar verdeutlichen :)
Herrje. Kerle.
Am 19. August 2008 um 14:10 Uhr
OH!MEIN!GOTT! Verzeihnse mehrfach, Frau Nika.
Versprochen, Ab jetzt nur noch seeeehr vereinzelt auftauchendes Ernstnehmen…at least i try…
Am 19. August 2008 um 14:17 Uhr
Bist du gerade irgendwie zickig, hm? Beleidigt gar?
Denn die Einzige, die in diesem Blog zickt, dit bin icke, Prinzessin Zicke
So nämlich.
Am 19. August 2008 um 20:25 Uhr
Liebste Zicke,
schön hast Du mein Leiden in Worte gefasst!
Nur der Ausflug in die Schokoladenvorräte fehlt – aber der hilft auch nicht, wenn das Hirn beschlossen hat, springlebendig durch die Kanäle zu zappen….
Am 19. August 2008 um 21:17 Uhr
Vermutlich hätte ich heute Nacht auch in die Schokoladenvorräte gegriffen, in der Hoffnung das mein Hirn zufrieden schmatzend darüber einschläft. Blöderweise hab ich nix im Haus :)
Irgendjemand sollte einfach zeitweise die Batterien aus den Fernbedienungen unserer Hirne nehmen, damit das Zappen kontrollierbar wird. (Sehr schönes Bild übrigens, danke )
Am 21. August 2008 um 08:32 Uhr
wetterbericht, bitte! danke.
Am 21. August 2008 um 08:43 Uhr
terapievorschlag.
4 wochen auf ne hallig. im november. jede woche einmal landunter.
ausrüstung :
wetterfeste kleidung
viele gute bücher (seichte kost)
eine kamera und tonnenweise schwarzweißfilme.
Am 21. August 2008 um 11:38 Uhr
plus löslicher kaffee, soda, vitamin C und fixierer :-)
Am 21. August 2008 um 11:48 Uhr
Nadja, da sag nochmal einer, ich wäre ungeduldig :)
Berni, du glaubst gar nicht, wie gern ich diesen Vorschlag annehmen würde. Ich fürchte nur, mein Arbeitgeber wird das nicht witzig finden. Leider. Ich fänd’s toll.
Am 21. August 2008 um 12:18 Uhr
nika,
ich hatte letztes jahr im september ein fettes burn out.
davon hab ich mich bis jetzt noch nicht erholt.
bin seitdem krankgeschrieben.
das nur zum thema….arbeiten bis der arzt kommt.
Am 3. September 2008 um 16:08 Uhr
Abends einfach mal den Waldmeister weglassen.
Du weisst doch „The drugs don’t work!“, und so.