Seiltanz

Wäre ich eine Comicfigur, hätte der Zeichner gerade eine Menge mit mir zu tun. Müsste er mir doch kleine Dampfwolken anzeichnen, die mir aus den Ohren strömen. Dazu noch eine Unmenge blubbernder Denkblasen über dem Kopf. Fuchtelnde Hände und dazu rotierende Füsse, die Spurrillen in einen Teppich fräsen. Ein bupperndes Herz, das deutlich sichtbar unter dem Shirt schlägt.

Wenn das alles so einfach wäre, würde ich ihn bitten, mir doch gleich die Lösung dazu zu zeichnen. Die richtige Lösung, versteht sich. Ich würde darum bitten, die Entscheidungsalternativen mit grossen, blinkenden Signalen zu versehen. Mit „Ja!“ und „Nein, bloss nicht“. Und dazu wünsche ich mir einen Las-Vegas-Richtungspfeil, mit hübschen dicken Glühbirnen verziert.

Ich will nicht falsch entscheiden. Nichts tun, was ich bereuen werde. Ich will nicht in die falsche Richtung gehen, zuviel riskieren, alles auf eine Karte setzen, auf deren Rückseite vielleicht Niete steht.
Aber ich will auch die Karte, auf die ich setze, nicht eines Tages umdrehen, um dann auf ein „Leider die Chance verpasst“ sehen zu müssen.

Ich laufe auf und ab, von rechts nach links, finde keine Ruhe im Denken, keine Ruhe im Handeln. Weil keine Zeit ist. Alles muss jetzt funktionieren, eine Entscheidung und ein Schritt nach dem anderen, aufgereiht wie auf einer Perlenkette. Immer ein Stück weiter. Ich muss hoffen, an jeder Kreuzung der letzten und der nächsten Tage die richtige Seite zu wählen.

Ich darf keine Frage, die es zu stellen gilt, vergessen. Ich darf keinen Aspekt übersehen. Ich bin Seiltänzerin ohne Netz und doppelten Boden. Allein für meinen Verbleib auf dem schwankenden Seil verantwortlich. Das macht mir Angst und mit zitternden Knie tanzt es sich schwierig auf dem Seil. Nichtmal ein kleines Rüschen-Schirmchen habe ich dabei.
Aber ich will nicht, das mich der Mut verlässt. Ich will nicht zurückweichen und ich will niemand anderem meine Entscheidungen überlassen.

Auch wenn ich mich fühle, als vollführe ich meinen Tanz auf dem Seil zwischen den Petrona-Towers. Mindestens.

Jetzt bleiben mir noch 52 Minuten bis zum nächsten Schritt. Noch 52 Minuten, in denen in meinen Kopf wieder die Argumente ihre Kreise ziehen. Vor und zurück, Pro und Contra, Ja und Nein.
IchweissesnichtIchweissesnichtIchweissesnicht.
Aber ich bin nicht bereit, mich vom Seil fallen zu lassen. Also werde ich gleich, in 51 Minuten, tief Luft holen, hoffentlich einen ruhigen und entschlossenen Eindruck machen können und den nächsten Schritt im Tanz wagen.

Weiter. Immer weiter.

11 Reaktionen zu “Seiltanz”

  1. judith

    Diesen rotierenden Zustand kenne ich und weiß, wie er an den Nerven zerrt. Aber meine Erfahrung zeigt, dass in den meisten Fällen die Bauchentscheidungenn die richtigen sind. Das lange Grübeln verunsichert und am Ende verschlimmert alles. Der erste Impuls, den der Körper mit all seinen empfindlichen Innereien Richtung Hirn stoßt, auf den sollte man hören.
    Nun, wie ich sehe, sind die 51 Minuten längst abgelaufen. Ich hoffe und wünsche Dir, dass Du das Richtige getan hast – was immer es war. :-)

  2. Tilla Pe

    Schnurzel – da muss ich der judith aber Recht geben! Es ist immer alles ohne Netz und doppelten Boden! Echt jetzt! Also geh nach dem Bauch! Ich drücke alle Daumen!

  3. aebby

    Ich bin zu spät um noch was Mut machendes zu sagen, die 51 min sind schon um.

    Eines vielleicht, ich habe schon mehrere solche Entscheidungen hinter mir, bei der letzten sah es sogar einen Moment lang so aus als hätte ich die Chance auf der Rückseite verpasst – aber letztendlich wird man es nie erfahren ob die andere Chance wirklich gut gewesen wäre … also entscheiden und weiter gehen

  4. Nika

    Danke euch.

    Die 51 Minuten sind jetzt lange um, ja. Trotz allem hat euer Daumendrücken geholfen denke ich. Der Termin war gut und der nächste, wichtige Termin liess sich wider Erwarten auf der Timeline ansetzen. An einer guten Stelle, passend in meinem vorhandenen Zeitfenster.
    Ich werde spätestens nächste Woche dann noch einmal auf euer erfolgreiches Daumendrücken zurückgreifen.
    Nach dem Tag heute habe ich jetzt erstmal wirklich einen Kaffee und eine Zigarette verdient.

    Immer weiter. Immer weiter.

  5. frauvivaldi

    Fürs Schirmchen ists ja schon viel zu spät, wie ich sehe.. ;-)
    Netz und doppelten Boden gibt es NIE im wahren Leben! Das ist immer nur Illusion. Aber dafür ist das Seil auch nie so schmal wie man glaubt – so schnell fällt es sich zum Glück auch nicht runter.. das Schlimmste ist glaube ich doch einfach nur die Angst davor, dass man es könnte.
    Schritt für Schritt. So und nicht anders.
    Auch Dir ein herzliches „Durchhalten“ und so weiter..

  6. doro

    auch ich zu spät, es liest sich heftig :-/

    in ähnlichen zuständen versuch ich immer, in kleinstschrittchen zu denken und zu handeln. nicht das ganz große sehen, sondern immer ein stückchen weiter.
    keine ahnung, ob das für dich passt.

  7. fotozelle

    Das Problem bei solchen Dingen ist: Du MUSST dich einfach immer dafür entscheiden.

    Ich für mich selbst könnte nie mit einem „… na, hätte ich mal, damals *ins Schnapsglas starr*…“ leben.

    Ich für meinen Teil weiss nur von der Existenz dieses einen Lebens, die Anderen davor, oder die nach diesem, die interessieren mich tatsächlich herzlich wenig.

    Wenn Du es tatsächlich getan hast, dann macht Dich das echt sexy, Nika ;)

    =)

  8. lordfoltermord

    Ich finde deinen Mut auch beeindruckend und drücke sämtliche verfügbaren Daumen (derzeit zirka zwei).

    Ach, und manchmal glaubst Du, es gäbe kein Netz. Das liegt daran, dass Du nur in den Raum, nicht aber in die Zeit sehen kannst. Es finden sich immer wieder Netze, Rutschen, Kletterseile, Treppen und mitunter sogar Aufzüge…gefolgt von Bodenwellen, fehlenden Kanaldeckeln, Sackgassen. Soll ich das mit diesem „thats life“ jetzt noch erwähnen? Nee, lass ich lieber. Glückauf!

  9. Nika

    Danke euch für die Anteilnahme. Alles wird gut. Habe ich beschlossen.

    Ich begebe mich jetzt erstmal ein paar Tage ins Offlineleben. Ein bisschen Wind um die Nase ist vermutlich vernünftig. Eventuell werde ich eine repräsentative Umfrage unter Deichschafen veranstalten, man sollte ja keine Meinung ausser Acht lassen.

    Wenn ich wieder da bin, Herr Fotozelle, sollten Sie eine gute Antwort auf meine, mit hochgezogener Augenbraue gestellte Frage „Ach? Nur dann? Ha?“ zur Hand haben.

    Alles ist auf einem guten Weg. Denke ich. Warten wir ab, was die nächsten Tage so bringen.

  10. nadja

    in dem buch „alice im wunderland“ gibt es eine stelle (zumindest wurde das so ins russische übersetzt), wo alice das katzengrinsen fragt, was hinter der nächsten tür ist. und das grinsen antwortet: wo möchtest du denn hingelangen?

    seit ich diese textpassage kenne, bin ich total überzeugt, dass deine intuition dich nie im stich läßt, wenns darum geht, die entscheidung zu treffen, ein entsprechendes türchen aufzumachen. falls es möglich wäre, das notwendigsein des daumendrückens etwas mittelfristiger vorherzusagen, gebe ich dir sehr gern meine vier affendauemen dazu.

    liebe grüße
    nadja

  11. berni

    tschacka.. du schaffst es.

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