Es ist.
Die Dämmerung ist schon eingezogen in den Raum als ich erwache. Das Licht ist blau und kühl und lässt mich auch unter der warmen Decke frösteln. Es passt so gar nicht zum Licht in meiner Erinnerung. In der Erinnerung an den Traum, aus dem ich langsam, aber ungern zurückkehre.
Ungern, weil es dort warm war. Umgeben von grünem Gras und im Sonnenlicht. Ich weiss nicht, warum der Traum mich zurückbrachte in den Sommer, der gerade so weit weg ist. Ein Sommer, an den ich mich kaum erinnern kann. Vielleicht war er zu kurz, zu wenige warme Tage, zu wenige lange Nächte.
In meinem Traum war er da, der Sommer. Warm und weich. Wir sassen auf einer verwitterten Holzbank. Die Risse im Holz waren schon ganz aufgeplatzt vom Regen vieler Tage, von der Sonne vieler Tage, dem Frost vieler Nächte.
Vor uns das Wasser, langsam und behäbig fliessend. Mit aller Zeit der Welt. So sehr ich auch versuche, mich zu erinnern, ich weiss nicht mehr, worüber wir sprachen. Das Gespräch war ruhig und langsam, so wie der Fluss der vor uns vorüberzog.
Obwohl diese Formulierung ja eigentlich so nicht stimmt. Flüsse ziehen nicht. Sie sind einfach da und bewegen sich langsam in sich. Genau vor uns. Ohne ihren Platz zu verlassen. Aber darum geht es nicht. Denn das, woran ich mich sehr genau erinnere, das Fragment aus meinem Traum, dass im Gegensatz zu den meisten anderen Details den ganzen Tag bei mir blieb, das ist mein Unterarm.
Vielleicht träumte ich deshalb vom Sommer, vielleicht ist das der Grund. Im letzten Sommer hat mein Unterarm sich verändert und dort, wo die Veränderung begann, entsteht im Traum die Fortsetzung. Vielleicht ist es das.
Wir sassen auf dieser Bank, sprachen miteinander und während ich meine Zigarette hielt, abwechselnd sprach, zuhörte und rauchte, da blickte ich ab und zu auf meinen Arm. Mit diesen leuchtenden Farben im Sonnenlicht. Dort, wo jetzt nur ein Teilstück tätowiert ist, schlossen sich weitere Farben an. Überzogen meinen kompletten Unterarm bis zur Ellenbeuge.
Es war, als wären diese Farben schon immer da gewesen. Als würde das, was ich im Traum sah, dort hin gehören.
Wenn ich jetzt auf meinen Arm blicke, ist es, als könnte ich es noch immer sehen. Das, was an Motiven nun auf einmal zu fehlen scheint. Als wäre mein Arm nach diesem Traum unvollständig. Dieses Gefühl trage ich durch den Tag. Noch immer ist es da und noch immer kann ich mich an jedes Detail dieser Tätowierungen erinnern.
Mein Gehirn hat ganze Arbeit geleistet und ich kann nicht aufhören, daran zu denken. Immer wieder habe ich heute im Lauf des Tages meinen Ärmel zurückgeschoben und meinen Arm betrachtet. Als würde ich darauf warten, dass die Bilder, wenn ich nur fest daran glaube, auf einmal zurückgekehrt sind aus diesem Traum und ich sie wieder auf meinem Arm trage.
Vielleicht sind es all‘ die Dinge, die mir in der letzten Zeit, in den letzten Tagen und Wochen, unter die Haut gingen. Vielleicht ist das, was mich schweigen liess, durch mich hindurch gewandert. Als wäre das Schweigen in mir bis in meinem Arm gesunken und dort in diesen Bildern langsam durch meine Haut gesickert. Bis ich sie sehen konnte, in diesem Traum.
Vielleicht sollte ich meinen Tätowierer anrufen. Vielleicht ist das meine Art, das Schweigen für mich zu beenden. Ihm seinen Raum zu geben, einen Platz, wo es sein kann, ohne mir die Worte zu nehmen, ohne mich festzuhalten. Vielleicht muss ich es loslassen und in Farbe tauchen.
Am 28. November 2010 um 13:03 Uhr
Ich habe mir diese deine Geschichte jetzt 3 Mal durchgelesen. Habe versucht, zu verstehen. Wie ich denke, habe ich auch verstanden. Vor meinen Augen sehe ich ständig deinen Arm, auf dem sich Muster ranken, die miteinander tanzen und die Farbe wechseln.
Ich kann dir nicht sagen – ja, geh zu deinem Tätowierer, denn ich kann das alles nicht so recht beurteilen. Aber ich bedanke mich für dieses Bild. Dein Arm und tanzende Muster … dieses Azurblau und ein leichtes Rosa … Ranken mit grünen Blüten und Sommergerüche.
Schweigen kann oft auch heilsam sein. Aber irgendwann muss eben alles auch einmal hinaus in die Welt.
*drück*
Am 28. Dezember 2010 um 20:03 Uhr
Danke.