KIT
Der Tag war Mist. Ziemlich sogar. Entsprechend verhält sich meine Stimmung später im Auto auf dem Heimweg. Die Musik aus dem Radio rutscht an mir vorbei, scheint aus den Lautsprechern zu gleiten und am Amaturenbrett hinunter zu tropfen. Sie kommt nicht bei mir an, nur das gleichmässige Rauschen der Reifen auf dem nassglänzenden Asphalt begleitet den in meinem Kopf kreisenden Gedanken. Seit Stunden kaue ich darauf herum. Erfolglos. Er ist zäh und unbefriedigend. Immer wieder fällt mir dazu ein buddhistisches Fragment ein. Drop the thought. Lass den Gedanken fallen. Wenn es nicht weitergeht, lass es einfach fallen. Wenn das nur so einfach wäre. Ich will einfach nur noch nach Hause. Und endlich Nichts mehr denken. Kurz bevor ich mein Ziel erreiche, unterbricht das Handyklingeln das Rauschen und die kreisenden Gedanken in meinem Kopf. ‚Kannst du kommen ? Ich brauche deine Hilfe.‘
Während ich meinen Mund Dinge wie ‚Ich bin eigentlich grad erst auf dem Weg nach Hause‘ hören sage, läuft in meinem Kopf die Notfallmaschinerie an. Im nächsten Moment übernimmt mein inneres Kriseninterventionsteam das Kommando. ‚Ja. Ich bin auf dem Weg. Du gehst jetzt in die Küche, machst mir einen Kaffee. Weiter nichts mehr. Ich bin gleich da.‘ So verlasse ich meinen geplanten Weg, fahre stattdessen die knapp 30 km in die andere Richtung. Drop the thought. Wenn ich mein Leben lasse, zulasse das es einfach passiert und offen dafür bin, bringt es mir Möglichkeiten. Für mich. In der eigenen Hilflosigkeit, während ich im eigenen Leben herumstehe und für mich die Wege manchmal nicht finde, zeigt es mir meine Stärken. Krisenintervention ist eine davon. Freunde schätzen das sehr und ich brauchte gerade das Gefühl, etwas zu können. Menschen, die mir zeigen, dass sie mich brauchen. Auf meine Stärken vertrauen, im Wissen darum, dass ich Situationen in den Griff bekomme.
Als ich mein Ziel erreiche, steht der Kaffee bereit. Und das Notfallkommando in meinem Kopf hat Pläne auf grossen Tischen ausgebreitet, hat Aufgaben verteilt, die notwendigen nächsten Schritte auf bereitstehende Flipcharts notiert. Ich denke nicht mehr, ich höre nur noch auf dieses sehr strukturierte und organisierte Stimmengewirr meiner inneren Stabschefs. Sie machen das gut. Es funktioniert. Alles läuft in die vorgesehenen Bahnen. Nach einiger Zeit ist alles soweit geregelt, dass ich gehen kann und zufriedene, gelöste Gesichter zurücklasse. Im Auto stecke ich mir eine Zigarette an, lasse das Radio ausgeschaltet und diesmal höre ich bewusst auf das Rauschen der Reifen. Der Asphalt glänzt noch immer, es regnet. Aber diesmal ist meine Stimmung zufrieden und ruhiger. Der vorher noch kreisende Gedanke ist hinabgesunken, ruht. Drop the thought. Ich kann wenigstens für heute aufhören darüber nachzudenken.
Am 5. Januar 2007 um 16:55 Uhr
Das hast Du schön beschrieben. Ich sags ja schon lange, die beste Methode aus solchen Teufelskreisen rauszukommen, wenn man merkt, anderen geht es vielleicht noch miserabler. Das rüttelt auf, das mobilisiert. Die Kräfte, die man für sich selbst nicht verwenden kann (oder glaubt, nicht zu können), sind sofort da, wenn man gebraucht wird. Und so seltsam es auch sein mag, gerade sowas rückt die Welt dann wieder ein bisschen zurecht. Doch, wirklich treffend hast Du es beschrieben.
Am 5. Januar 2007 um 18:32 Uhr
Danke, Judith. Es war tatsächlich so, es hat meine Welt einfach wieder ein bisschen zurechtgerückt. Ich konnte etwas tun, von dem ich weiss und auch beweisen konnte, ich bin gut darin, ich regele die Dinge, meine Notfallpläne funktionieren, es sortiert sich wieder alles. Und ich konnte aufhören zu denken, drop the thought. Wunderbar.